Thank you mejokuste!!!
There is no hurry ofc!
27 July 2005
Automobil Revue
Stéphane Lambiel wurde schon mit 20 Weltmeister und damit zum umschwärmten Star des Eiskunstlaufs. Wir begegneten ihm auf der Terrasse eines Bistros in Lausanne, wo er sich mit einem Glas Orangensaft erfrischte.
Die Ästhetik geniesst in Ihrem Sport einen hohen Stellenwert. Muss für Sie auch ein Auto schön sein, damit es Ihr Interesse findet?Stéphane Lambiel: Ja! Denn ein Auto muss zur Persönlichkeit des Fahrers passen, aber es muss natürlich auch komfortabel sein.
Welche Autos gefallen Ihnen besonders?Cabrios – denn Fahrtwind im Haar und Ferienstimmung finde ich sehr sympathisch.
Welches war Ihr erstes autofahrerisches Erlebnis?Ein sehr unerfreuliches! Ich war so um die 14 Jahre alt, als mich mein Bruder fragte: Willst du versuchen, Mamas Auto zu fahren? Ich wollte. Ich setzte mich ans Steuer, und mein elfjähriger Bruder nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Als ich den Zündschlüssel drehte, machte das Auto kleine Sprünge rückwärts, und ich wusste nicht, was ich machen musste, um es zu stoppen. Der Wagen fuhr in die kurze Böschung vor unserem Haus, verkeilte sich und wurde glücklicherweise von einer kleinen Mauer gebremst. Mein kleiner Bruder rannte aus dem Auto und rief
meine Mutter.
Wie lebt es sich mit dem Status eines Weltmeisters?Sehr gut! Es ist interessant, all die Leute kennen zu lernen, die meinen Sieg mit mir geniessen möchten. Ich finde es sehr sympathisch, zu erleben, wie sie mir entgegentreten: ein freundliches Lächeln, eine kleine Geste – ich weiss dies zu schätzen. Ich liebe es, glückliche Augenblicke mit andern zu teilen.
Sie sind viel unterwegs. Nutzen Sie die Reisezeit, um neue Musik, neue Melodien kennen zu lernen?Ich verbringe in der Tat sehr viel Zeit im Auto und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und es stimmt, dass ich dabei meistens Musik höre. Auto fahren ohne Musik ist für mich undenkbar. Ich liebe es, Musik in voller Lautstärke zu hören, mich von ihr inspirieren zu lassen und mir dabei auszudenken, wie ich die Musik beim Eiskunstlauf umsetzen könnte.
Wurde die Musik zu Ihren weltmeisterlichen Darbietungen in Moskau genau auf diese Weise gefunden?Ich hatte den Film über König Arthur gesehen. Danach kaufte ich mir die Filmmusik und hörte sie mir im Auto intensiv an, um herauszufinden, welche Partien aus dem 60-minütigen Werk am besten zu meiner Kür, die ich an den Weltmeisterschaften laufen wollte, passen würden. Dabei versuchte ich, der Musik möglichst nahe zu kommen und durch meine Läufe und Sprünge bestens mit ihr zu harmonieren.
Bedeutet das Auto für Sie Stress?Ja, speziell in der Stadt! Denn es fällt mir ausgesprochen schwer, vor einem Rotlicht zu warten; da droht mir oft der Kragen zu platzen …
Sind Sie ungeduldig?Und wie! Bei mir muss es rollen, ich bin dynamisch und laufe stets auf Hochtouren, ich will vorankommen. Wenn ich von einer roten Ampel aufgehalten werde oder der Hinterste bin in einer Kolonne von Autofahrern, die nicht wissen, wohin sie wollen, dann stresst mich das enorm.
Vor einem Wettbewerb haben Sie einmal gesagt, man könne seine geistige Einstellung selbst wählen. Gilt das auch beim Autofahren?Im Prinzip ja. Wenn man jedoch in einem überladenen Programm steckt und schon eine halbe Stunde verspätet ist, dann kann man seine Geistesverfassung nicht mehr auswählen: Man ist zu spät dran und kann deshalb nicht ruhig bleiben. In einem sportlichen Wettbewerb jedoch gelingt es, den Stress zu bewältigen und die Nervosität zu kontrollieren, indem man sich optimal darauf vorbereitet und bestens trainiert ist. Man versucht, sich in einen
streng geordneten rituellen Zustand zu versetzen. Je anforderungsreicher eine Aufgabe ist, desto mehr versucht
man, einen Überblick zu gewinnen und sie durch kontrollierte Schritte zu lösen. Im Gegensatz dazu ist der Zwangshalt vor einem Rotlicht eine simple Angelegenheit, etwa genau gleich wie das Warten auf die Rechnung in einem Restaurant. Folge: Man will nicht warten, obwohl man meistens höchstens eine Minute Zeit verliert. Doch schwierige Aufgaben sind relativ leicht zu bewältigen, weil man sich nicht ärgert, dass man dafür Zeit benötigt.
Gibt es beim Eiskunstlaufen irgendetwas, das Ihnen hilft? Eine höhere Macht?Ich sage mir immer: Du kannst kämpfen bis zum Umfallen. Solange du nicht tot bist, hast du noch Reserven, du kannst es schaffen! Und ich gehe immer bis an die Grenzen, das ist das ganze Geheimnis meines Programms.
Wenn ich keine Luft mehr habe, wenn ich nicht mehr weiterkann, wenn ein Sprung misslingt, dann sage ich zu mir: Fange dich wieder und versuche noch mehr zu geben, um den Rückstand wieder aufzuholen. Ich versuche immer, «meine Maschine» bis aufs Äusserste zu belasten. Auch bei den Trainings verlasse ich das Eis erst, wenn ich alles erreicht habe, was ich erreichen wollte. Das ist meine Einstellung zum Leistungssport.
Kennen Sie eine Art Angst vor einem Wettkampf?Es gibt verschiedene Arten von Nervosität. Sie kann sich in schwer kontrollierbaren Beinen äussern, durch den berühmten Klumpen im Bauch oder auch durch eine unregelmässige Atmung. Um eine aufkommende Nervosität zu bändigen, beginne ich oft zu singen, um so meine Stimme aufzuwärmen; dadurch stabilisiert sich auch meine Atmung, und ich finde eine innere Ausgeglichenheit.
Wo haben Sie das grössere Freiheitsgefühl, auf dem Eis oder auf der Strasse?Auf dem Eis. Denn auf dem Eis gibt es keine Limits, keine einengenden Vorschriften, während man sich auf der
Strasse ständig vor Radarfallen und der Polizei in Acht nehmen muss.
Muss sich ein Sportler stets vorbildlich benehmen?Für mich ist ein Sportler ein Mensch wie jeder andere. Er ist kein unfehlbares Vorbild, sondern nur ein Mensch, der seinen Job macht. Die Leute dürfen einen Sportler nicht idealisieren und ihn dadurch un-ter Druck setzen. Meines Erachtens sind viele Leute der Ansicht, dass ein erfolgreicher Sportler nicht mehr mit seinen Freunden ausgeht. Das ist falsch: Wenn ich Lust habe, meine Freunde zu sehen, dann rufe ich sie an, und wir gehen
zusammen ins Kino oder in eine Disco. Auch im Strassenverkehr hat der Sportler keine Sonderrechte, denn auch er wird vom Radar geblitzt wie alle andern Temposünder.
Sie stehen somit nicht nur im Sport unter Druck?Der Sport ist meine Arbeit. Und wie bei allen Leuten gibt es auch bei mir vor allem im be- ruflichen Leben Druck. Man will leistungsfähig sein, will gewinnen, man hat Lust auf Erfolg. Als Ausgleich schätzt man es dafür umso mehr, wenn man im Alltag entspannen kann.
Aber Stéphane Lambiel trinkt vor allem Jus d’orange.Entspannen bedeutet nicht zwangsläufig, Alkohol zu geniessen, ich kann das mit Orangensaft, den ich gern habe, genauso gut.
Sie trinken nie Alkoholisches?Doch, aber nur, wenn es etwas Spezielles zu feiern gibt. Denn für Spitzensportler gelten strenge Regeln, die zu beachten sind, so etwa bezüglich genügend Schlaf oder gesunder Ernährung. Von der Einhaltung dieser Regeln hängt es oft ab, welche Plätze man in der Rangliste belegt.
Mit dem Weltmeistertitel haben Sie ein grosses Ziel er reicht. Wovon träumen Sie noch?Es ist schwierig, die Spitze zu erreichen, aber es ist noch schwieriger, an der Spitze zu bleiben. Und genau das ist mein Traum! Meine letzte Saison glich einem Sägeblatt: Ich begann ganz unten, ich wechselte Trainer und Sponsor und erreichte schliesslich einen gewissen Punkt. Nach all den Etappenzielen der letzten Saison visiere ich noch höhere Ziele an. Ich werde versuchen, mich weiter zu verbessern und an diesem Berg noch höher zu steigen.
Olympiade Turin – belastet Sie dieses Ziel?Ich trainiere für Turin, aber ich fixiere mich nicht darauf. Ich betreibe den Eiskunstlauf nun schon seit 13 Jahren, und ich trainiere täglich, weil ich es gern mache und ich mich auf dem Eis wohl fühle. Die Olympischen Winterspiele von Turin sind für mich ganz einfach eine weitere Erfahrung, die sich an all jene Wettkämpfe reiht, die ich bis heute bestritten habe – Turin ist eine logische Folge.
Sie sind auch Uhrendesigner. Wie kam es dazu?Vor den Weltmeiserschaften von Moskau schlug mir ein Unternehmer vor, eine eigene Uhr zu gestalten. Dabei kann der Kunde nicht nur das Modell auswählen, sondern auch Gehäuse, Zifferblatt und Armband. Ich hätte auch mit anderen Uhrenfabrikanten zusammenarbeiten können, aber die Marke «121 Time» ermöglichte mir, etwas Kreatives zu leisten, so wie ich es beim Eiskunstlaufen tue, und eine Uhr mit einer persönlichen Note zu gestalten. Meine Mitarbeit bei dieser Uhrenfirma unterscheidet sich deutlich von einem normalen Sponsoring. Ich
hoffe, mit meiner Uhr ein möglichst breites Publikum anzusprechen, und zwar nicht etwa, weil es eine «Uhr Stéphane Lambiel» ist, sondern weil es eine echte Uhr ist.
Was ist Ihr Traumauto, das Sie sich irgendwann einmal kaufen möchten?Ich habe keine Lust auf einen Luxuswagen. Vielmehr würde ich ein Auto bevorzugen, das zu mir passt und in dem ich mich wohl fühle. Mein jetziger Ford Fiesta läuft super gut, er ist dynamisch. Es ist das erste Mal, dass ich ein Auto mit einem 150 PS starken 2-L-Motor habe. Doch zurück zu Ihrer Frage: Ich würde es schätzen, wenn mein nächsten Auto kein Dach hätte.
Fragen: Pierre Thaulaz